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18th-century research in dialogue

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Aufklärung fürs Auge

von Daniel Fulda

Ein Luftballon und die Revolution. Zu einer Guardi-Betrachtung Jean Starobinskis

Vor knapp einem Jahr, am 4. März 2019, starb Jean Starobinski; 98 Jahre ist der Genfer Medizinhistoriker, Literaturwissenschaftler und Ideengeschichtler alt geworden, der zugleich ein großer Aufklärungsforscher war. Eines der originellsten unter seinen vielen Büchern ist der Versuch einer auf Bilderquellen gestützten Gesamtdarstellung des 18. Jahrhunderts vor der Revolution: Die Erfindung der Freiheit (Frankfurt am Main: S. Fischer 1988, frz. Orig. 1964: L’Invention de la liberté). Für einen Gelehrten, der kein Kunsthistoriker ist, war das ein höchst ungewöhnlicher Ansatz.

Starobinski versuchte, aus Rauminszenierungen und architektonischen Entwürfen, aus malerischen Darstellungsweisen, aus Bildmotiv- und Perspektivenwahl und dergleichen den Charakter einer ganzen Epoche zu erkennen. Seiner Kennerschaft und seiner ästhetischen Sensibilität ist es zu verdanken, dass er dabei zu brillanten Beobachtungen gelangte. Manche seiner Bildinterpretationen bauen allerdings mehr auf Assoziationen auf, als dass sie die angebotene Deutung durch philologische Nachweise ihrer historischen Möglichkeit plausibilisieren. Nehmen wir als Beispiel das letzte Gemälde, das Starobinski bespricht. Es stammt von Francesco Guardi und trägt den Titel Aufstieg eines Luftballons.

Abb. Francesco Guardi: Aufstieg eines Luftballons (um 1784, Öl auf Leinwand, 66 × 51 cm, Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie):

Guardi hat ein tatsächliches Ereignis im Bild festgehalten bzw. gestaltet, das im April 1784 in Venedig stattfand, ein Jahr nach der ersten Fahrt einer Montgolfière in Paris. Der aufsteigende Ballon ist von der Größe seiner Darstellung her nur ein winziges Detail im Hintergrund. Seine Platzierung in der Mitte des Bildes sowie die Sorgfalt seiner malerischen Ausführung – im Unterschied zum flotten Pinselstrich der Menschen im Vordergrund – lenken indes den Blick auf ihn. Starobinskis Interpretation wiederum macht aus dem tatsächlichen Ereignis ein historisches in einem sehr anspruchsvollen Sinn, denn er sieht in ihm „das ganze Jahrhundert zusammen[gefasst]“ (S. 209).

In der wenige Stunden dauernden Ballonfahrt verdichte sich symbolisch die Epochensituation mit ihrem kurz bevorstehenden revolutionären Bruch. Die Zuschauer am Boden oder auf dem Wasser repräsentieren in dieser Lesart die Gesellschaft des Ancien Régime. Den Ballon wiederum interpretiert Starobinski nicht nur als ‚Himmelszeichen‘, in dem sich etwa radikal Neues ankündigt, eben weil es den Boden verlässt, auf dem sich die Menschen bisher bewegten – eine solche Lesart scheint mir durchaus im Horizont von Guardi und seinen Zeitgenossen zu liegen. Darüber hinaus schreibt Starobinski jedoch auch seinen historisierenden Blick schon dem Maler zu, und er erwägt, ob die Zuschauer in dem Ballon – einer „kleinen Kugel die gefährlich in der Ferne, im Blauen schwebt“ – ihre Zukunft und eine Prophetie der Revolution erkannten: „Wissen diese eleganten Menschen, die wie flinke Insekten aussehen, daß diese letzte Sensation das Ende ihrer Welt bedeutet und daß dieses Zeichen am Himmel, noch mehr als die alten Kometen, einen nicht mehr rückgängig zu machenden Umsturz prophezeit?“

Starobinskis Interpretation läuft auf eine Bedeutung hinaus, die Guardis Bild genaugenommen erst für den späteren Betrachter haben kann, der die ganze Geschichte des 18. Jahrhunderts kennt. Den Horizont von 1784 überschreitet sie, obwohl sie durch Fragen den Leser ermuntert, sich in die Betrachter des Ballons hineinzuversetzen. Starobinski macht dies sehr elegant, und sein erwägender und häufig bloß andeutender Stil bewahrt ihn vor Aussagen, die leicht angreifbar wären. Sein Buch ist sehr gelobt worden, hat aber keine Nachfolger gefunden, womöglich weil es sich mehr um einen großen Essay handelt als um eine mit klarer Methodik durchgeführte Untersuchung.

Schrift- und Bildkultur in der Aufklärung(sforschung)

Das 18. Jahrhundert von seinen Bildern her zu verstehen, war ein zwar ungewöhnlicher, aber auch naheliegender Ansatz. Ungewöhnlich, weil das Jahrhundert der Aufklärung üblicherweise über seine sprachlich artikulierten Ideen sowie seine Diskursprinzipien – Kritik und öffentliche Debatte – definiert wird. Und dies mit einigem Recht: Wohl keine Epoche vertraute der Macht des Wortes so sehr wie die Aufklärung; das gilt mit Blick auf die Fähigkeit der Sprache, die Welt und deren Erkenntnis zu repräsentieren, ebenso wie hinsichtlich der Überzeugungskraft, die dem in Druckwerken oder öffentlichen Debatten vorgebrachten Argument zugemessen wurde. Bildliche Medien sowie die bildende Kunst gelten demgegenüber als nachrangig.

Doch ist der bildzentrierte Ansatz Starobinskis zugleich auch naheliegend, denn Gesellschaft und Kultur des 18. Jahrhunderts waren insgesamt noch nicht schriftzentriert. Das Medium Schrift war gesamtgesellschaftlich weit weniger präsent als im Folgejahrhundert und sogar heute (in unserem Zeitalter neuer Bildmedien, elektronisch und vernetzt), und dies nicht bloß weil die Mehrheit der Menschen nur schwach oder gar nicht alphabetisiert war. Für die Kultur an der höfischen Spitze der Gesellschaft spielten visuelle und andere sinnliche Eindrücke ebenfalls die weitaus wichtigere Rolle. Macht musste laufend auch inszeniert, d.h. in konkreten oder symbolischen Vollzügen anschaulich gemacht werden.

Abb. Jean-Michel Moreau: „Les remparts ébranlés s’entr’ouvrent à sa voix. Il entre au nom du Dieu qui fait régner les Rois“ [Voltaire: Henriade, 10. Gesang] (1782, Kupferstich)

Für den Glauben standen die bildenden Künste wohl mindestens ebenso wirkungsvoll ein wie die Theologen. Selbst das gelehrte und/oder literarisch tätige Kernpersonal der Aufklärung bediente sich zur Propagierung seiner Ideen gerne auch bildlicher Medien, und die ästhetische Theoriebildung in der Wort-Kunst, der Poesie, ging wesentlich anhand von Mustern der Malerei und der Plastik vonstatten.

Dementsprechend sind Bilder neuerdings mit Macht in die Aufklärungsforschung zurückgekehrt. Illustrationen in Romanen und ihre Interaktion mit dem Text oder der Einsatz von Bildern für die Popularisierung von Wissen wurden ebenso untersucht wie Veränderungen im Bildverständnis, etwa die Krise der allegorischen Bedeutungserzeugung – um nur auf einige wenige Bücher anzuspielen.

 

 

Abb. Drei Titelabbildungen Ferrand, Artful Science, Hochkirchen

Einladung nach Halle zur Tagung Die Bilder der Aufklärung / Pictures of Enlightenment / Les Images des Lumières

Zum Thema einer großen Tagung werden die „Bilder der Aufklärung“ im September dieses Jahres werden. Organisiert von Elisabeth Décultot und Daniel Fulda findet sie vom 16. bis 18.09.2020 im Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) in Halle an der Saale statt. Es handelt sich zugleich um die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ); sie steht aber auch Wissenschaftlern offen, die nicht Mitglied der DGEJ oder einer anderen Mitgliedsgesellschaft der International Society for Eighteenth-Century Studies sind. Die Konferenzsprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch; Teilnehmer gleich aus welchem Land sind auch ohne eigenen Vortrag willkommen. Wer nicht Mitglied der DGEJ ist, entrichtet eine Teilnahmegebühr von € 25, die zugleich die Pausenversorgung und einen abendlichen Empfang abdeckt.

Abb. Johann Christoph Homann: Darstellung des Grundrisses und Prospectes der Königl. Preussisch-Magdeburgischen und des Saal-Crayses Haupt Stadt Halle. Nürnberg [zwischen 1720 und 1723], Ausschnitt. Bildnachweis: Stadtarchiv Halle (Saale).

Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen soll der Beitrag von Bildmedien zur Repräsentation von Aufklärung als Programm, Verfahren und soziale Bewegung stehen. Ein weites Verständnis von ‚Bild‘ als materielle, nicht-sprachliche visuelle Darstellung bildet des Ausgangspunkt. Ziel der Tagung ist es nicht, eine Kunstgeschichte der Aufklä­rung zu erstellen – das wäre ein weit allgemeineres Thema, das zugleich eine Verengung bedeutete, da unter der genannten Leitfrage nicht allein künstlerische Bildwerke von Interesse sind, sondern auch technische Zeichnungen, Darstellungen von Gebrauchsgegenständen, Tabellen und Diagramme oder eher handwerklich gestalte­te Buch­illustra­tionen.

Welche Bildmotive oder -formen oder bildliche Darstellungsweisen wurden als ‚aufklärerisch‘ wahrgenommen bzw. können als solche gelten? Wie generieren Bilder Assoziationen mit Gedanken, Figuren, Motiven, die als ‚aufklärerisch‘ bezeichnet werden? Welche Bilder sind auf Texte angewiesen, um als Bilder der Aufklärung zu funktionieren, und welche vermögen dies selbständig? Welche Rolle spielten besondere Techniken der bildlichen Vervielfältigung (Stiche, Abgüsse usw.) und Praktiken der Verbreitung?

Erkenntnisgewinne erhoffen wir sowohl auf sachlicher wie auch auf reflexiver Ebene: An dem Bild, das wir uns von der Aufklärung machen, dürfte sich aus einem geschärften Blick auf die ‚Bilder der Aufklärung‘ einige Korrekturen ergeben. Sich bewusst zu machen, wie sich unsere Vorstellungen von der Aufklärung zur bildlichen Selbstrepräsentation der Aufklärer sowie zu den in der Rezeptionsgeschichte verfertigten Bildern verhalten, wäre zudem ein Akt der (Selbst-)Aufklärung der Aufklärungsforschung und ebenso des öffentlichen Aufklärungsdiskurses.

In diesem Sinne: Herzlich willkommen in Halle und auf bald!

Veranstaltungsort, Kontakt und weitere Information: Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung, Franckeplatz 1, Haus 54, 06110 Halle (Saale), izea@izea.uni-halle.de, 0345/5521770, www.izea.uni-halle.de